Warum Python-Programmierkenntnisse auch in der Physik-Grundlagenausbildung relevant sind
Im ingenieurwissenschaftlichen Studium an der Hochschule Mittweida ist die Vermittlung digitalisierungsbezogener Kompetenzen selbstverständlich. Um das Verständnis der Studierenden für Programmcodes und computergestützte graphische Darstellungsformen von physikalischen Zusammenhängen frühzeitig zu fördern, sollen die Studierenden in der Grundlagenveranstaltung von unserem Digital Fellow Prof. Dr. Richard Börner bereits mit Programmierkenntnissen vertraut gemacht werden. Hierfür sollen die Studierenden sowohl in der Vorlesung als auch im begleitenden Seminar mit Python-Programmcode arbeiten – teilweise als Visualisierungshilfe, teilweise im Inverted-Classroom-Ansatz. Wie genau dies erfolgen soll, erklärt Prof. Dr. Richard Börner von der Hochschule Mittweida im Interview.
Herr Professor Börner, warum sollen die Studierenden im Physik-Grundlagenmodul eine Programmiersprache erlernen?
Prof. Börner: Ich bin davon überzeugt, dass Sprachen lernen ein zentraler Teil unserer Bildung ist. Dabei wird oft verkannt, dass es sich dabei nicht allein um Sprachen verschiedener Länder und Menschengruppen handelt. Alle Fachgebiete haben ihre eigene Sprache, die es uns erlaubt effektiv in dem Fachgebiet zu kommunizieren. Diese Sprache muss man (kennen-)lernen. Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung und die Programm-Sprache ist hier der Schlüssel, die Digitalisierung mitgestalten zu können. Das heißt nicht, dass jede:r Studierende zur:m Programmierer:in werden soll, aber gerade in den MINT – Fächern möchte ich den Studierenden das Programmieren als Sprache nicht vorenthalten und das möglichst schon am Anfang ihres Studiums.
Wie ist die Verwendung von Python-Programmcode in den Kontext Ihrer Lehrveranstaltung eingebettet?
Prof. Börner: Sicher denkt im ersten Moment jeder: wie soll das gehen? Noch mehr Stoff passt einfach nicht in den Kanon der Physik. Meine Antwort: das stimmt! Der von uns gewählte Ansatz ist daher grundsätzlich anders. Das Curriculum wird nicht erweitert, sondern die Programmiersprache wird so genutzt, dass Darstellungs- und Aufgabenformen durch sie ersetzt werden. Damit schaffen wir indirekt Platz für die Programmiersprache. Wir haben uns hier für Python entschieden, da es eine zeitgemäße und weit verbreitete Sprache ist. Wir nutzen sie gemeinsam mit Jupyter–Notebooks. Das Jupyter-Notebook ist eine Open-Source-Webanwendung, mit der man Dokumente im Webbrowser erstellen und weitergeben kann, die Live-Code, Gleichungen, Visualisierungen und auch erklärenden Text enthalten. Das Wort Notebook ist hier ganz wörtlich zu übersetzen, eben ein Notizblock und kein Gerät. Das macht die Programmierung und vor allem die Darstellung der Programmierung samt Ergebnissen im Webbrowser sehr einfach. Diese Notebooks können dann in der Vorlesung, im Seminar oder auch im Praktikum sowohl in Präsenz als auch im livestream eines hybriden oder reinen online Formats zur Verfügung gestellt werden. So ist man als Dozent z.B. in der Lage den Parameterraum eines physikalischen Problems einfach und interaktiv graphisch darzustellen – diese Möglichkeit fehlt an der Tafel und auch im Whiteboard einer Online Vorlesung.
Sie möchten das Seminarkonzept hierfür durch einen Inverted-Classroom-Ansatz erweitern. Wie genau sieht das aus?
Prof. Börner: Das PyVo-Konzept ist vor allem eine Angebot für Studierende und funktioniert getreu dem Motto: Lernen durch Anwendung. Wir stellen die Studierenden daher vor die Aufgabe, einen Teil der physikalischen Problemstellungen zu Hause zu erarbeiten und ermutigen sie dabei, das von uns entwickelte Python – Jupyter Konzept zu nutzen. Als Beispiel bitten wir die Studierenden den schrägen Wurf als Paradebeispiel der mehrdimensionalen Bewegung zu Hause zu erarbeiten und diese Bewegung dann im Jupyter-Notebook graphisch darzustellen. Dafür nutzen die Studierenden von uns zur Verfügung gestellte Vorlagen, die sie dann entsprechend der Aufgabenstellung abändern müssen. Im Seminar gehen wir dann die Notebooks Schritt für Schritt durch. Ich habe hier das große Glück einen Tutor anstellen zu können, der mich dabei bei der Einführung unterstützt. Nochmal: es geht nicht darum, das ganze Seminar durch PyVo zu ersetzen, sondern es an ganz bestimmten Stellen zu integrieren, wo es den klassischen Inhalt perfekt ergänzt.
Inwiefern können die Studierenden die bei Ihnen erworbenen Programmierkenntnisse in ihrem weiteren Studium und Ihrem späteren Arbeitsleben nutzen?
Prof. Börner: Die erste eigene Anwendung erleben die Studierenden noch bei mir im Grundlagenmodul Physik. Nämlich im Praktikum. Die Papierform hat im Praktikum quasi ausgedient. Heute werden die Protokolle in Textverarbeitungsprogrammen erstellt und auch die gefunden funktionellen Zusammenhänge, z.B. die quadratische Abhängigkeit des Weges von der Zeit bei der gleichmäßig beschleunigten Bewegung werden am Computer dargestellt. Hier können die Python-basierten Jupyter-Notebooks direkt zum Einsatz kommen. Der Export einer Computer Grafik und die Integration im Textverarbeitungsprogramm inklusive. Der eine oder die andere kommt vielleicht auch auf die Idee, das Notebook selbst als Protokoll zu sehen. Bleiben wir gespannt. Darüber hinaus ist so auch der Grundstein zur linearen und nicht-linearen Regression gelegt. Ein wesentlicher Schritt in der Ausbildung zur:m Ingenieur:in, den wir so optimal vorbereiten können und der sicher in anderen Fachgebieten aufgenommen werden kann.
Auch andere Lehrende, v. a. aus dem Netzwerk Mathematik/Physik und E-Learning, sollen von den Ergebnissen Ihres Digital Fellowships profitieren. Welche Elemente Ihres Lehrkonzeptes können dort nachgenutzt werden?
Prof. Börner: Dafür gibt es eine einfache Lösung: z.B. github. Wir wollen unser Konzept vollständig als open source resource als github repository zur Verfügung stellen. Dazu gehören nicht nur die schon erwähnten Jupyter Notebooks, sondern auch eine vollständiges Manual, das Schritt für Schritt die Implementierung des Konzepts aufzeigt und auch die Installation der Programmiersprache mit einschließt. Wir erheben auch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, ganz im Gegenteil. Es wäre wohl das Schönste, wenn andere Kolleg:innen die Idee aufgreifen und unseren Aufgabenpool an Notebooks sukzessive auf github erweitern.